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Paul Bernhard Zeitschel

 

Paul Bernhard Zeitschel

Chemnitzer Studiosus als Vertrauter des bolschewistischen Volkskommissars Krassin in den St. Petersburger Salons

Großspurig nannten Propagandisten die Zeit nach der Oktoberrevolution 1917 in Russland "Kapitel 2 der Weltgeschichte". Auf dem Banner der Schlachtopfer bleiben die Namen der Unschuldigen, der redlich revolutionären Kämpfer - hungrig und in Bastschuhen - gern als Menetekel verzeichnet. In den Überlieferungen der Bolschewisten war dann von den verhassten "Putilow-Banden" und anderen kapitalistischen Verbrechern die Rede: Die Roten Brigaden hatten die Expropriateure zugunsten der "Diktatur des Proletariats" niedergerungen und - wenig später - diktatorische Regimes von Russland aus in die Welt gesetzt.
Von Heiligem Zorn waren wohl die Bolschewiki erfüllt gegen Leute wie Putilow und ihresgleichen. Ihres-gleichen? Da gehörte, wie jüngste Nachforschungen ergaben, auch ein Chemnitzer dazu, ein Absolvent der hiesigen Gewerbeschule, der es bis in industrielle Spitzenstellungen in St. Petersburg und überhaupt im zaristischen Russland gebracht hatte: Paul Bernhard Zeitschel.
Der Sachse Paul Zeitschel verkehrte, dank
Haeußler wissen wir jetzt Näheres davon, als einer der führenden deutschen Industriellen im Zarenreich, etwa als Generaldirektor der Russischen Aktiengesellschaft Siemens-Schuckert in Krassins Räumen (delikat: Krassin war Zeitschels Stellvertreter!), ohne zu berücksichtigen, dass er es bei diesem Vize mit dem "verantwortlichen Techniker, Finanz- und Transportfachmann der Partei" zu tun hatte, der die Bewaffnung der Bolschewiken und andere umstürzlerische Geschäfte betrieb: "Nur die wenigsten wussten, dass der allen Petersburger Fabrikanten bekannte, elegante Ingenieur und dazu Besitzer einer luxuriösen Wohnung und wunderbarer Pferde der Leiter der technischen Kampfgruppe beim ZK der SDAPR war", heißt es ("An der Kremlmauer" - Moskau, ca. 1983). *
Als Sammler historischer Aktienpapiere, die rechtsverbindliche Faksimiles der Vorstände zu tragen hatten, war Haeußler auf Zeitschels Unterschrift gestoßen, die ihm aus den alten Siemens-Quellen bekannt war. Als er dann noch Zeitschel in einem Adressbuch von 1876 in Chemnitz antraf, war die Herkunft sicher belegt und der Spürsinn angestachelt, so dass er endlich mitteilen konnte: "Als Ingenieur und Wirtschaftsexperte brachte Bernhard Zeitschel nach der Oktoberrevolution entscheidende Initiativen in die Elektrifizierung der Sowjetunion, die Durchsetzung des Außenhandelsmonopols und die Anerkennung der Sowjetunion im Westen." (Siemens Chemnitz 2005, Seite 19 - Das war zwar Krassin als Zeitschels Stellvertreter, aber gedruckt ist gedruckt.)
Nochmals: Lenins Waffenschmied Krassin verbarg sich als Zeitschels Kompagnon! Just jener Krassin, der sich später in den Verhandlungen für den (kurzen) Frieden von Brest-Litowsk als Vertrauter Lenins hervortat, der später Moskaus Diplomat in Großbritannien und Frankreich, zugleich "Volkskommissar für Außenhandel" war, bis er 1926 ruhmvoll an der Kremlmauer beigesetzt wurde. Lunatscharski soll ihn "einen der Marschälle Lenins" genannt haben. Der auch Namenspate des vielgerühmten, noch jetzt hilfreichen Eisbrechers "Krassin" wurde; genug!
Wie kam der Chemnitzer Gewerbeschulabsolvent Zeitschel nach St. Petersburg? Zeitschel soll sehr erfolgreich für Schuckert Nürnberg gearbeitet haben. "Sein Studienkollege und späterer Schwager, der Sachse Kurt Siegel, lockte ihn nach St. Petersburg", fügt Jochen Haeußler hinzu. Sein Ingenieurbüro hatte anfangs fast alle zaristischen "Theater in St. Petersburg und Moskau mit elektrischer Beleuchtung in Schuckert-Technik" ausgestattet wie auch die neuen Yachten der Majestäten und Zarewitschs. Ausgestattet mit den Formaten des Hauses unseres Lokomotivenkönigs Richard Hartmann, dessen Praktikant und späterer Mitarbeiter Zeitschel war, lag sein Wirkungsfeld maßgeblich an der Newa - jedenfalls zwischen den jetzt hundert Jahre zurückliegenden russischen Revolutionen.
Lenin spricht seine Formel "Sowjetmacht plus Elektrifizierung - das ist Kommunismus". Und ein sächsicher Pastorensohn war geschäftstüchtig Wegbegleiter.

*Jochen Haeußler teilte mit: "Bei Siemens war man durch russische und preußische Geheimpolizei informiert. Krassin war nach seiner aktivsten Zeit im Untergrund nach Berlin ausgewichen. Dort machte er ab 1908 Karriere in der ,Berliner Abteilung der Russischen elektrotechnischen Werke Siemens&Halske, St.Petersburg’. Als man den tüchtigen Ingenieur, der zu dieser Zeit kaum noch Kontakte zur Partei hatte, 1912 nach Moskau zurückschickte, wollte die Ochrana ihm die Einreise verwehren, aber Siemens setzte sich durch. Krassin galt wohl als geläutert und entwickelte schon damals bei Vorträgen in Arbeitgeberkreisen seine Theorie vom Außenhandelsmonopol, um sein geliebtes Russland zu schützen.

 

Quelle: Stadtstreicher Chemnitz, Addi Jacobi