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Rolf Schneider

Rolf Schneider

Die Sprache des Geldes als murrendes Monument der Unwirtlichkeit

Der Reiz gepflegter Radiostimmen bleibt bis heute fast unverändert familienbildend.
Wenn Rolf Schneider zum "Politischen Feuilleton" des DeutschlandRadios angekündigt wird, verbindet sich bald Vertrautheit mit literarischem Anspruch in den Hörminuten, ebenso unaufdringlich wie gewinnend. Seit Jahrzehnten erscheint Schneider unverzichtbar für Sender und Hörer, voller Wechselwirkung auf Leselust und Unterhaltungswert. Mal mehr, mal weniger. Das hat wohl auch nach "Aufbau"-Jahren gewisse Wurzeln in seinen früheren "Spiegel"-Texten, mehr noch in seinen hiesigen Ursprüngen und seinen Prägungen als "in beiden Deutschländern irgendwie zu Hause und in keinem wirklich". So pulsiert es in den deutschen Biografien. Der Germanist urteilt. "Verlässlichste Berichterstatter der DDR dürften auch in Zukunft die bleiben, die sie erlebt haben," ließ er unlängst von sich hören, sagte aber zugleich: "Die DDR betrieb den gewaltsamen Versuch, eine Gerechtigkeits-Utopie in die Wirklichkeit zu pressen. Ihr jammervolles Scheitern war zugleich das Scheitern einer Emanzipationsidee, die anderthalb Jahrhunderte lang die Weltgeschichte bewegt hatte." (Die WELT 6.7.05).
Nach drei Jahren als Redakteur der Kulturbund-Zeitschrift "Aufbau" in Berlin kamen zuerst Bücher wie "Der Tod des Nibelungen" oder "Die Reise nach Jaroslawl" in die Bibliotheken, dank durchaus intellektuell diversanter Feinsinnigkeit nicht allzu lebhaft gefeiert in den Lektoren- und Zensurgremien aller Etagen. Die Formel "Widerstandsfähiger intellektueller Querulant" trifft Niveau und Kunstwert seiner publizistischen und literarischen Äußerungen - vormals und nicht weniger heute. Das liegt wohl in hiesigen Erbanlagen: "Mein Vater hat es viermal in seinem Leben geschafft, aus einer kommunistischen Partei hinausgeworfen zu werden", äußerte der bei Berlin und an der Ostsee lebende Schriftsteller. Vater war Werkmeister, in Chemnitz, Mutter Textilarbeiterin. Sie wohnten am westliche Kaßberg-Ende, Viliersstraße. Ein gemeinsamer Spaziergang bleibt unvergessen. Zusammen haben wir im Oktober 1996 die Klinke der früheren elterlichen Wohnung gefunden. Rolf Schneider war damals zum Festival "Begegnungen" eingeladen und zur Bibliotheksreihe "Chemnitzer Köpfe" ins Haus am Schillerplatz. "Doch, einmal war ich seitdem noch in die Chemnitzer Universität eingeladen," erwähnt Rolf Schneider dieser Tage am Telefon, erinnert sich auch unserer Wohnortsuche auf dem Kaßberg. Viliersstraße? Damals verlief die Viliersstraße zwischen Gravelotte- und Roonstraße, heute also zwischen Horst-Menzel-Straße und Franz-Mehring-Straße. Temporäre Vereinnahmungen? Jedenfalls Geschichtsimpuls mit Heimatbezug in den besten Fällen. Das Wiedersehen mit der elterlichen Wohnungstür hat Rolf Schneider in einem TV-Report bald darauf knapp beschrieben: "Es sind sehr kitschige Gefühle, voller Sentimentalität. Aber davon lebt die Literatur. Und man spürt, dass man doch sehr alt geworden ist". Im Sendeband von 1996 wird noch ein zweites Motiv für den Wunsch zum Blick auf frühere Schauplätz genannt. Es war ein erstes Wiedersehen mit den alten Straßen und Wegen seit 50 Jahren, auch nach der Zeit, da er seit der Biermann-Ausbürgerung auch heftigster Observation der Geheimdienste die Stirn zu bieten wusste. Warum hierher, fragten wir, um den Beweggrund dieser dezent-sentimentalen Sehnsucht zu erfahren? Die Antwort kam fest, wenn auch etwa zögerlich: Jean Cocteau habe "einmal gesagt, Schriftsteller zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich unentwegt ihrer Kindheit erinnern müssen. Und vielleicht bin ich ein Dichter?"
Rolf Schneider jedenfalls sollte bitte viel öfter in seine Geburtsstadt eingeladen werden, intim, angemessen wohl, doch nicht all zu nobel. Das muss nicht sein. Inzwischen hört man ihn eben gern per Ätherwellen im DeutschlandRadio, greift seine politischen Notate auf, hört auch seine anderen Funkarbeiten, liest dank Stadtbibliothek seine Essays und Bücher mit den prägnanten Sonnenberg-Epidoden. Aber direkt ist direkt, Auge in Auge. Im Zwiegespräch ist besser als aller konjunktureller TV-Talk der Eitelkeiten und angemaßten Maßlosigkeiten.

 

Quelle: Stadtstreicher Chemnitz, Addi Jacobi