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Prof Bernd Jentzsch

 

Prof. Bernd Jentzsch

Nicht jeder, der die Stadt verließ, schied im Zorn. Als der 18jährige Bernd Jentzsch von der Geibelstraße wegzog, um nach NVA-Zeit und Universität in Berlin Lektor im FDJ-Verlag Neues Leben zu werden, geschah das nicht ohne Hoffnungen. Die Enttäuschungen folgten später. Zuerst war die Begründung einer zeitgerechten Literaturreihe namens "Poesiealbum". Das Projekt geriet durch weitgehende Weltoffenheit in einer Wiese, dass noch heute gut und gern von den Editionen gesprochen werden kann. Als 1971 ein SED-Parteitag neue Freiräume verhieß, brachte Jentzsch seine Sammlung "Lauter Lust, wohin das Auge gafft" heraus, fühlt sich von der Anerkennungswelle herausgefordert, gesamtdeutsche Schriftstellertreffen zu ermöglichen - zuerst in seiner Wohnung. Dann ist Bernd Jentzsch dienstlich in der Schweiz; in die Zeit seines Arbeitsaufenthaltes in Zürich und Bern fällt der unsägliche Biermann-Entschluss, der ihn zu einem ersten Offenen Brief an den Parteichef und zum Verbleiben bei den Eidgenossen veranlasst. Das ist die Stunde der Staatssicherheit, die alle Familienmitglieder in Acht und Bann schlägt. Die einschneidenden Maßnahmen führen bis zur Eintragung ins Fahndungsbuch.
Das Chemnitzer Lebenskapitel Bernd Jentzschs reicht über zwölf Jahre, bis zum Debüt in der AG Junge Autoren. Zwei Jahre zuvor starb Großvater Albert Jentzsch, ein Stadtverordneter der Sozialdemokratie seit 1919 und bis zum Machtgebaren der Hitlerleute, dann emsiger, geläuterter Nachkriegsstadtrat für Wohnungswesen in der entsetzlich zerbombten Stadt. Wie eng die Beziehung zwischen Enkel und Opa war, ist im Augenblick dem Schreiber dieser Zeilen unbekannt, doch wird es am 7. Dezember Gelegenheit geben, die geistigen Konzeptionen der Jentzsch-Generationen und sicher auch das Familienklima zu ergründen. Professor Bernd Jentzsch, seit kurzem Kultursenator des Freistaates Sachsen und seit geraumer Zeit Direktor des Leipziger Literaturinstituts, hat sich zu einem Besuch im Lesecafé exlibris angekündigt, um mit jungen (und älteren) Leuten über Wege und Irrwege, Kunst-Selbstverständnis und Kultur-Subordination zu reden. Sein Großvater Alfred erwarb sich im Chemnitz der Weimarer Zeit (Allgemeine Baungenossenschaft, Bauhütte), auch mit seinen Nachkriegsinitiativen als zweiter Bürgermeister (Trümmerberäumung, CH5, erste Bauten ohne Balken) einen unstrittigen Platz in der Chemnitzer Geschichte dieses Jahrhunderts. Was seine streitbaren Parlamentsreden seit 1919 heute vermitteln können, was Alberts Enkel Bernd aus der Familiengeschichte an Jahrhundertbewegungen filtert, das soll besten Gesprächsstoff bieten über zwei weltbekannte Chemnitzer Köpfe, denen in einer (vielleicht) stadttypischen Weise eigen ist "die alte Lust, sich aufzubäumen".

 

 Quelle: Stadtstreicher Chemnitz, Addi Jacobi