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Albrecht Buttolo

Albrecht Buttolo

Steuermann und Kapitän des deutlichen Sicherheitskonzepts
An die Chemnitz ist Albrecht Buttolo schon als 19-Jähriger gekommen, um ab 1966 Technologie/Maschinenbau zu studieren. 1970 Diplom, drei Jahre später Promotion zum Dr.-Ing. Das liegt jetzt 35 Jahre zurück. War es Herkunft, war es Glaubensangelegenheit - er las "Die Union", die "Neue Zeit", Gerald Götting wurde sein Parteivorsitzender auf den Spuren des Otto Nuschke. Seit 1970 beteiligte er sich am Parteileben, blieb Rationalisierungsingenieur, wurde in der sächsischen Automobilindustrie schließlich EDV-Gruppenleiter in der Projektierung.
Ab Juni des fundamentalen Jahres 1990 nahm Albrecht Buttolo gleichsam über Nacht seinen neuen Amtsplatz an der Chemnitzer Brückenstraße hinter dem Marx-Denkmal ein. Die konkurse Diktatur tauchte nach ruhmlosem Ende unter: "Wir bleiben hier - wir sind das Volk", klang es nach den Montagsdemos an der Aluminiumfassade des großen Hauses mit "Zickzack", in dem heute die Oberfinanzdirektion und eine Liegenschafts-Treuhand-Variante arbeitet.
Ministerpräsident Lothar de Maizière, der wie Buttolo der Götting-CDUD angehört hatte, berief auf der Basis des ersten frei gewählten Parlaments Volkskammer in allen DDR-Bezirken Regierungsbevollmächtigte und nutzte Buttolos Fähigkeiten für die Pflichten der Stunde - denn wir vollzogen den Weg zur Heimkehr des alten Stadtnamens, auch des alten Freistaates und also dem Ende der DDR mit ihren Bezirken. Albrecht Buttolo achtete auf den Übergang zur freiheitlich-rechtsstaatlichen Demokratie mit allen Konsequenzen und christlichen Chancen. Sein Dienstzimmer lag an der Straße der Nationen, der große Beratungssaal blieb unverändert von Karlheinz Jakobs Wandbild dominiert.

Als gewähltes Mitglied des Sächsischen Landtages vollzog Buttolo in der Dreikönigskirche zu Dresden-Neustadt die Installation der sächsischen Vertretungskörperschaften, speziell in seiner neuen Eigenschaft als parlamentarischer Staatssekretär im Sächsischen Staatsministerium des Inneren: In Biedenkopfs sachsenprägendem Pionierkabinett wurde Albrecht Buttolo inmitten der Westkompetenz seit 1990 zum ruhenden Pol des Ostcharakters. Im Innenministerium, das Albrecht Buttolo seit 2005 als Minister leitet, oblag ihm schon als Staatssekretär gleichsam oberster Bauherr der neue sächsische Städtebau mitsamt Wohnungswesen, bald auch die Landesentwicklung schlechthin. Voreilige Baulücken beim Rückbau mancher Karrees schmerzen nachhaltig. Doch wer kann schon bauen, ohne zu bauen?

Die Generation der Buttolos bot die Alternative, verbindet aus langer Erfahrung die Qualitäten der Wortwahl mit Diplomatie und Strategie. Besonnene Offenheit vom Mobilfunkforum bis zur Polizistenperspektive. Freud und Leid der nun vollzogenen, oft gewöhnungsbedürftigen Kreis- und Verwaltungsreform standen im Kontext zu Buttolos Plädoyer für modernes bürgerschaftliches Engagement. Kriminalprävention, Stolpersteine der Bund-Länderkompetenzen, dosiertes Mindern von Fremdenfeindlichkeit und beherzter Umgang mit politischem Extremismus im ganzen Spektrum - Sachsens Innenminister braucht eine starke Disposition und sucht als Staatsmann die Mithilfe der Bürger: "Das Engagement gestaltet die Gesellschaft solidarischer und menschlicher." Gerade brachte der Staatsminister nach vielen Monaten moderner Entscheidungsvorbereitung einen großen Brocken staatlicher Rationalisierung für Sachsen als Steuermann und Kapitän hinter sich: Alle Querelen zur  Verwaltungsreform sind Geschichte, der Übergangsstau wird mit Kleinarbeit demontiert. Mit kühlem Kopf und ruhigem Kalkül zweckmäßiger Argumente und Berechnungen zählt dieser Innenminister zur Wendeelite bis heute.

Quelle: Stadtstreicher Chemnitz, Addi Jacobi

Alfred Siegert

Alfred Siegert

Zwischen Bretgasse, Riefenstahl, Paramount und DEFA

Alfred Siegert fuhr Volvo! Wenn er dazu noch mit einer verdächtigen West-Filmkamera vor einem volkseigenen Betriebstor auftauchte (z.B. DKK Scharfenstein), wurde nach der Drehgenehmigung gefragt. Denn Siegert sah auch noch so aus, als käme er vom ZDF. Er war aber in alter Heimatverbundenheit zu Chemnitz und dem Erzgebirge dabei, einen Visitenkartenfilm über unsere sonnige Gegend für den Unica-Weltkongress 1983 in Paris zu drehen. Ein Jahr später wollte diese älteste Weltorganisation ("älter als UN und Unesco") in der noblen Stadthalle Karl-Marx-Stadt zu ihrem Kongress 1984 zusammen kommen und eine Woche Festival zelebrieren. Da mussten die Weltreisenden erst mal gezeigt bekommen, wie es hinter dem "Eisernen Vorhang" landschaftlich und überhaupt so aussieht.

Den Volvo hatte er übrigens gegen seine Villa, die er lange in Ostberlin bewohnte, eintauschen müssen, weil allerhand Diplomatenvillen für die neuen Botschafter gebraucht wurden. Er bekam dafür an der Leipziger Straße in Berlin eine Neubauwohnung.
Zuerst war der Chemnitzer (*1904) als Filmvorführer am Markt tätig gewesen, etablierte sich mit dem Erstling "Im Reich der klingenden Täler" (Musikwinkel Klingenthal), hatte sich für seinen Karl-Stülpner-Film ("Der Wildschütz des Erzgebirges") die Ausrüstung erworben und dann eine Uraufführung mit großem Orchester in den Kammerlichtspielen (später Ufa-Palast) veranstaltet. Drehort Greifensteine, die Komparserie rekrutierte er unter Arbeitslosen jener Zeit aus der Gegend...

Alfred Siegert hatte sich dann bis zum Eintritt der USA in den Weltkrieg mit seinen für den Paramount-Weltvertrieb gefertigten zwei Dutzend Kulturfilmen einen internationalen Namen als Dokfilmregisseur gemacht. ("Inferno des Erzes", "Wunderwerk der Präzision - Glashütte"). Immerhin war er von Leni Riefenstahl für die legendären Olympia-Filme ("Fest der Völker", "Fest der Schönheit") als Kameramann engagiert worden; wie auch Kurt Ahnert, der zweite Chemnitzer, der in dieser olympischen Crew tätig wurde...

Siegerts Ausrüstung war in seiner Wehrmachtszeit bei einem Chemnitzer Spediteur eingelagert und in all den Koffern und Kisten unversehrt und unentdeckt geblieben. So war er für die DEFA rasch unentbehrlich, drehte "Kinder suchen ihre Eltern", drehte für die Wochenschau "Der Augenzeuge" drehte mit Verwegenheit: Als die Sosa-Talsperre im Bau war, wollte er einen Kameraflug imitieren. Das gelang: In eine niedrige Lore wurde ein Blickfenster fürs Objektiv geschnitten, Siegert klemmte sich in den Bottich und die Seilfahrt über den Höllengrund im Bockautal konnte mit Schwung angeschubst werden. Bald wurden - wie er sagte - "Kraftwerksfilme", die in Ägypten und im Nahen Osten entstanden, seine Industriefilmspezialität.

Lebenslänglich filmbesessen, kam Siegert mehrfach zu den Nationalen Spielfilmfestivals der DDR in die Stadthalle Karl-Marx-Stadt und zum Freundeskreis Film in den Pablo-Neruda-Klub (heute "Terminal 3"). Familiäre Nachkommen hatte Fred Siegert nicht, so dass kurz nach seinem Tode, als auch die Lebensgefährtin verstarb, der filmhistorisch kostbare Nachlass auf einer Berliner Müllkippe landete. Unwiederbringlich.

Quelle: Stadtstreicher Chemnitz, Addi Jacobi

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Georgius Agricola

Wer ist Georgius Agricola?

GEORGIUS AGRICOLA, geboren 1494 in Glauchau als GEORG PAWER, gestorben 1555 in Chemnitz (Freistaat Sachsen), gilt als "Vater“ der Mineralogie und Begründer der Montanwissenschaften. Als hervorragender Renaissancegelehrter erreichte er überregionale Bedeutung, und noch heute erfährt er weltweit Beachtung.

Sein wissenschaftliches Interesse, gewachsen in der deutschen und der italienischen Bildungslandschaft, war äußerst mannigfaltig und auf viele Gebiete gerichtet: Berg- und Hüttenwesen, Medizin, Pharmazie, Pädagogik, Metrologie, Politik, Wirtschaft und Technik; auch galt es der Vielfalt in Kunst und Kultur. Auf all diesen Gebieten hat AGRICOLA deutliche Spuren hinterlassen, die bis in die Gegenwart führen und uns hohe Bewunderung abringen. Entsprechend vielfältig ist sein wissenschaftliches Œuvre, aus dem vor allem das in viele Sprachen der Welt übersetzte De re metallica libri XII (1556) herausragt. Als umfassend humanistisch gebildeter Gelehrter und kosmopolitischer Geist praktizierte und kultivierte er an der Schwelle zur Neuzeit fächerübergreifendes Denken, ein Denken in Zusammenhängen - "vernetzten Wissensstrukturen" der Gegenwart entsprechend und damit von hoher Aktualität.

GOETHE bewertete ihn treffend und lädt uns damit ein, Leben und Werk eingehender kennenzulernen: "So bewundern wir ihn noch jetzt in seinen Werken, welche den ganzen Kreis des alten und neuen Bergbaus, alter und neuer Erz- und Steinkunde umfassen und uns als ein köstliches Geschenk vorliegen. Er ... lebte in der höchsten und schönsten Zeit der neu hervorbrechenden, aber auch sogleich ihren höchsten Gipfel erreichenden Kunst und Literatur ..."

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Biographie

Am 24. März 1994 beging die Stadt Chemnitz und mit ihr die wissenschaftliche Welt den 500. Geburtstag des großen sächsischen Humanisten und Gelehrten GEORGIUS AGRICOLA. Als engagierter Wegbereiter von Wissenschaft und Kultur, als profunder Kenner von Bergbau und Hüttenwesen, als Wissenschaftler und Diplomat, schließlich als Chemnitzer Bürgermeister erlangte AGRICOLA überragende Bedeutung und weltweite Anerkennung. Sein Hauptwerk, das 1556 in Basel erschienene Buch De re metallica libri XII, wurde in viele Sprachen übersetzt und liegt bisher in über 40 Auflagen vor. Es markiert die Geburt der Montanwissenschaften, also der Lehre von Bergbau und Hüttenwesen, Aufbereitung, Geologie und Mineralogie, jedoch auch den Beginn des Maschinenbaus. Mit seinen hervorragenden Leistungen zählt AGRICOLA zu jenen "Riesen an Denkkraft, Leidenschaft und Charakter, an Vielseitigkeit und Gelehrsamkeit", die der Renaissance das ihr so besondere Gepräge verliehen haben. Die großartige Persönlichkeit, die fast ein Vierteljahrhundert in den Mauern von Chemnitz wirkte und hier ihre wesentlichen Werke verfaßte, nimmt uns in besonderer Weise in die Pflicht, ihr humanistisches und wissenschaftliches Erbe zu bewahren und es mit den Erfordernissen der Zeit in Beziehung zu bringen.

Als Georg Pawer von Glauchau nach Leipzig

In Glauchau, unweit Chemnitz gelegen und zu jener Zeit Hauptort der Schönburgschen Herrschaften, wird GEORG PAWER (Bauer) - so sein bürgerlicher Name - am 24. März 1494 als Sohn eines Tuchmachers geboren. Wie zu jener Zeit üblich, durchläuft er zunächst die einfache Schulbildung: lernt Singen, Schreiben, Lesen und Rechnen, insbesondere jedoch die lateinische Sprache als Voraussetzung für den folgenden Besuch der 1409 gegründeten Universität Leipzig. Grammatik, Logik und Rhetorik - das Trivium im Rahmen der Septem artes liberales - sind die Fächer, die der 19jährige zunächst absolviert. Von seinen Lehrern ist besonders PETRUS MOSELLANUS zu nennen, einer der führenden Renaissancegelehrten und in guter Verbindung mit MARTIN LUTHER, ERASMUS VON ROTTERDAM, JOHANNES REUCHLIN und ULRICH VON HUTTEN. Nach etwa dreieinhalb Jahren erwirbt er den ersten akademischen Grad, den Baccalaureus artium, und verläßt die Universität. Von hier an trägt er den Namen GEORGIUS AGRICOLA - der latinisierte GEORG PAWER.

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Lateinlehrer in Zwickau

1518 beginnt ein neuer Abschnitt: AGRICOLA verdient sich nun als Schulmeister für Latein seinen Lebensunterhalt an der renommierten Stadtschule in Zwickau, das zu jener Zeit die "Perle der sächsischen Lande" genannt wurde und als wichtiges Versorgungszentrum der obererzgebirgischen Bergreviere galt. Bald wird ihm die Leitung der vom Rat eingerichteten "greckische Schul" (griechische Schule) übertragen, und er verfaßt hier das "Büchlein vom einfachen grammatischen Anfangsunterricht" für die lateinische Sprache. Diese Erstlingsschrift auf dem Gebiet der Pädagogik ist insofern bedeutsam, als sie in der Art der Vermittlung von Grundkenntnissen neue Wege beschreitet und Aufgaben und Verantwortung des Lehrers klar benennt.

Viel wichtiger gestalten sich jedoch die Beziehungen zu einer Reihe bedeutender Bürger dieser blühenden Stadt, beispielsweise zu Magister STEPHAN ROTH, zu THOMAS MÜNTZER, Prediger an der St. Marienkirche, und zum Lehrer JOHANNES RIVIUS. Der Aufenthalt gibt ihm auch Gelegenheit, den erzgebirgischen Silbererzbergbau sowie die damit verbundenen Probleme von Handel und Ökonomie kennenzulernen.

Ins gelobte Land von Bildung und Wissenschaft

1522 gibt AGRICOLA sein Schulamt auf und geht wiederum nach Leipzig, um sich hier - möglicherweise als Assistent von MOSSELANUS - in den alten Sprachen und der Philologie zu vervollkommnen. Unter dem Einfluß von Professor HEINRICH STROMER VON AUERBACH, einem der bekanntesten Ärzte der Zeit, wendet er sich aber auch medizinischen Studien zu, obwohl die dafür zuständige Fakultät auf die Theorien der Klassiker HIPPOKRATES, GALEN und AVICENNA beschränkt blieb und praktische Heilkunst kaum förderte. Auch die Bekanntschaft mit dem Professor der Medizin ULRICH RÜLEIN VON CALW, vormals Stadtarzt, Stadtapotheker und Bürgermeister von Freiberg, ändert nichts an den gebotenen Entwicklungschancen, so daß sich der fast 30jährige entschließt, nach Italien, also ins "gelobte Land von Bildung und Wissenschaft", zu reisen, um hier seine Studien fortzusetzen.

Kunst und Literatur, Philosophie und Wissenschaft wie auch technische Meisterleistungen faszinieren den vielseitig Interessierten, und so läßt er sich nach dem langen Weg zuerst in Bologna nieder, um hier Medizin zu studieren. An der altehrwürdigen Universität hat er zudem Gelegenheit, seine Kenntnisse in Latein, Griechisch und Hebräisch zu vervollkommnen - eine entscheidende Voraussetzung für das später folgende Studium der antiken "medizinischen Autoritäten". 1524 verläßt AGRICOLA Bologna und geht für zwei Jahre nach Venedig, "um bei den Ärzten in die Schule zu gehen und den GALEN Griechisch zu lesen". Praktische Anatomie und Chirurgie waren hier bereits weit entwickelt, denn während an anderen mitteleuropäischen Universitäten chirurgische Eingriffe an Kranken noch verboten waren, zählten diese wie auch die Sektion von Leichen bei den venezianischen Ärzten bereits zum Standard.

In Venedig findet AGRICOLA auch eine Anstellung in dem berühmten Verlagshaus von ALDUS MANUTIUS, bekannt durch Übersetzung und Drucklegung vieler griechischer Werke. In einem hochkarätigen Team von Fachleuten ist er hier an der griechischen Erstausgabe der Werke des antiken Arztes CLAUDIUS GALENUS (GALEN) - insgesamt fünf Bände mit 2 900 Seiten umfassend - und an der Bearbeitung der Werke von HIPPOKRATES beteiligt. Murano, Florenz, Siena, Neapel, Rom und Padua bilden weitere Stationen dieses ertragreichen Lebensabschnitts. Als Doctor medicinae - Ort und Zeit der Promotion sind leider nicht bekannt - und mit einer Vielzahl an neuen Erkenntnissen und Fakten bereichert, tritt er 1526 die Rückreise in seine sächsische Heimat an.

Nach einem kurzen Aufenthalt in Zwickau begibt er sich bis zum Herbst 1527 nach Chemnitz; er heiratet hier ANNA MEYNER, die Witwe des Schneeberger Zehntners MATTHIAS MEYNER. Die Suche nach einer Stadtarztstelle im Erzgebirge und ein "glühender Eifer am Studium des Bergbaus" führen ihn schließlich ins böhmische St. Joachimsthal; damit beginnt eine sehr fruchtbare Periode seines Schaffens.
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Stadtarzt und Apotheker in St. Joachimsthal

Das im böhmischen Erzgebirge gelegene Konradsgrün, nach der Entdeckung reicher Silbererzvorkommen im Jahre 1516 bald Sankt Joachimsthal (heute Jachymov) genannt, bietet für AGRICOLA eine neue Perspektive: In der 15 000 Einwohner zählenden Freien Bergstadt, die über 900 gangbare Gruben zählt, übernimmt er ab 1527 das Stadtarzt- und Apothekeramt. Ein Job nach Maß, wie sich zeigen sollte, denn endlich kann er die beim Studium und in Italien erworbenen Kenntnisse praktisch anwenden und sich zudem mit Bergbau und Hüttenwesen, Mineralien und Gesteinen befassen.

Bergbau gab es im Erzgebirge bereits an vielen anderen Orten: seit 1168 in Freiberg (Silber), seit 1241 in Graupen, wenig später dann auch in Ehrenfriedersdorf, Seiffen und Altenberg (Zinn); um 1500 folgten die großen Entdeckung der reichen Silbererzlagerstätten am Schreckenberg, in Breitenbrunn, Marienberg und Schwarzenberg, bei Schneeberg, Jöhstadt usw. Aus vielen Ländern strömten die Bergleute deshalb ins Silberne Erzgebirge, da sie der Faszination des Berggeschreis nicht widerstehen konnten und vermeinten, hier ihr Glück und Reichtum zu finden.

AGRICOLA gerät mitten in die Vielfalt der Probleme und kann sie dank seiner gediegenen Vorbildung souverän bewältigen. Besonders intensiv sind seine Studien „vor Ort“, also im Bergbau, und seine Kontakte mit Berg- und Hüttenleuten. Bald schon verfaßt er darüber einen philosophisch gearteten Dialog mit dem Titel Bermannus, sive de re metaIlica. Das Buch, von ERASMUS VON ROTTERDAM hoch gelobt und mit dessen Vermittlung 1530 im Froben-Verlag Basel erschienen, ist zugleich eine Dokumentation über den dortigen Bergbau, denn es beschreibt die im Lagerstättenbereich vorkommenden Minerale und erklärt spezifische Begriffe, wie z. B. Liegendes, Hangendes, Klüfte, Gänge. Erstmals setzt sich AGRICOLA mit der Entstehung der Erze auseinander und versucht, die zugrundeliegenden Gesetzmäßigkeiten aufzuhellen und in ein System zu bringen. Gegenüber den verkrusteten Auffassungen von Alchemie und Astrologie wirkt diese Leistung geradezu revolutionär. Gleichzeitig offeriert er das Programm seiner künftigen Forschungsarbeiten, in das auch die Wirkungen der Mineralien im Bereich der Medizin einbezogen werden sollen.

AGRICOLA verfertigt in dieser Zeit auch eine Kampfschrift über die Notwendigkeit des Krieges gegen die Türken, die bereits Wien belagert hatten und das Reich und den christlichen Glauben gleichermaßen bedrohten. Vernehmbar appelliert er, vor allem an König FERDINAND I. von Böhmen und alle deutschen Fürsten gerichtet, an patriotische Pflicht und Verantwortung und fordert auf, in Einigkeit die Waffen "mit Leidenschaft gegen einen so ruchlosen Feind" zu ergreifen. Das 1529 erschienene Buch, bereits 1531 ins Deutsche übersetzt, erfährt weitere sieben Auflagen.

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Stadtleybarzt und Bürgermeister in Chemnitz

1531 kehrt AGRICOLA nach Sachsen zurück und läßt sich in Chemnitz nieder. In dieser 4 500 Seelen zählenden Stadt, seit 1357 mit einem Bleichprivileg versehen, bilden Leineweberei und Tuchmacherhandwerk die Haupterwerbszweige, aber es existieren auch zahlreiche Handwerke sowie Saigerhütten und Kupferhämmer. Offensichtlich reizt ihn diese umtriebige Mischung, denn ab 1531 übernimmt er, seiner Qualifikation entsprechend, die Stelle des "Stadtleybarztes". Die Amtspflichten lassen glücklicherweise reichlich Zeit für Wissenschaft und praktische Studien, er widmet deshalb die folgenden Jahrzehnte der systematischen Aufarbeitung unterschiedlichster Probleme. Im Vordergrund steht zunächst die antike Metrologie, denn die überkommenen Maße und Gewichte sind insbesondere für das genaue Rezeptieren im medizinischen Bereich unentbehrlich. So versucht er, Ordnung in das vorhandene Wirrwarr zu bringen und verfaßt das Werk De mensuris et ponderibus. Sehr viel bedeutender sind jedoch die Arbeiten zur Darstellung der gesamten Naturentwicklung, im besonderen zu Bergbau und Hüttenwesen sowie der Vielfalt geologisch-mineralogischer Probleme. Bereits 1546 erscheint in Basel ein fünfbändiger Sammelband, der AGRICOLA als Gelehrten höchsten Ranges über die Grenzen des Landes bekannt macht. Das hierzu zählende De natura fossilium kann als das erste wirkliche Handbuch der Mineralogie angesehen werden, denn es systematisiert die natürlichen Substanzen vollkommen neu in Erden, Gemenge, Steine, Metalle und Gemische und beschreibt zugleich deren medizinische Verwendbarkeit.

Ab 1546 treten AGRICOLAS wissenschaftliche Arbeiten zunächst in den Hintergrund, weil er "auf Veranlassung und Befehl des Herzogs" erstmals das Bürgermeisteramt übernehmen muß. In dieser Position ist eine Vielzahl neuer Aufgaben zu verantworten: Teilnahme an den Landtagssitzungen, Abschluß von Verträgen, Verwahrung von Urkunden und Siegeln, endlich auch die Vertretung der Stadt in diplomatischen Belangen. In besonderer Weise wird er von Herzog MORITZ, ab 1547 Kurfürst von Sachsen, während des Schmalkaldischen Krieges (1546-1547) gefordert.

Wissenschaftler und Forscher

Trotz großer Belastung im Bürgermeisteramt kann AGRICOLA bis 1549 ein weiteres Werk mit 13 metrologischen und monetarischen Schriften fertigstellen; er leistet damit einen wesentlicher Beitrag, der Unmenge an unterschiedlichen Maßen, Münzen und Gewichten im zersplitterten Europa einigermaßen Herr zu werden. Als sehr viel bedeutender erweist sich jedoch die seit langem geplante Fertigstellung seines Hauptwerkes De re metallica libri XII. Er hatte dieses Opus magnum, das aus heutiger Sicht den Beginn der Montanwissenschaften markiert, bereits in St. Joachimsthal angekündigt und deshalb von da an alle wichtigen Quellen über Bergbau und Hüttenwesen bei antiken Gelehrten sowie in zeitgenössischen Dokumenten studiert. Praktische Erkenntnisse ergänzte er im technisch hochentwickelten erzgebirgischen Bergbau, also "vor Ort", so daß die theoretischen Studien stets verglichen und wissenschaftlich bewertet

 

Quelle: Agricola-Forschungszentrum  Schloßbergmuseum Chemnitz

Barbara Lotzmann

Barbara Lotzmann

Einst vom Erzgebirge nach Chemnitz, dann von Weimar nach Basel

Vom Nationaltheater Weimar für 15 weitere erfolgreiche Schauspielerjahre nach Basel zu gehen, ist unter normalen Verhältnissen, also ohne Systemkonfrontation  extremster Art, keine Besonderheit: Künstlerformat, Bewerbung, Engagement. Im Falle der Barbara Lotzmann war das anders. Aus hier nicht näher darzustellenden Anlässen, keinesfalls kriminellen, ausschließlich politischen, hatte ihr Mann und Kollege Rainer Höfer das DDR-Justizwesen auf der Angeklagtenseite mit Schuldspruch und Verurteilung durchzustehen, was seiner Frau die nahezu obligatorische Bespitzelung rundum einbrachte. Dann der Entscheid der Staatsorgane: Das Land verlassen binnen dreier Tage. Das war schon anno 1981 in Weimar.
Ihre Laufbahn begann im Karl-Marx-Städter Schauspielensemble, wenige Jahre nach der Berliner Abschluss-prüfung mit solchen Begabungen wie Dieter Franke aus Harthau und der polyerprobte Peter Dommisch. Barbara Lotzmann sammelte erste Berufserfahrungen mit Schauspieldirektor Gerd Keil, später im Bereich Dramatische Kunst des Adlershofer Fernsehstudios tätig. Für keinen handfesten Jux war sie sich zu schade, bis hin zum Auftritt mit Flora und Jolanthe im Jugendmagazin des Luxor-Palastes.
Wenn ich mich nicht irre, war Barbara Lotzmann aus dem "Dramatischen Zirkel der Deutschen Notenbank Karl-Marx-Stadt" hervorgegangen, Rolf Heilmann war dort spiritus rector. Damals war die Gattung Musical noch blutjung, zumindest hierzulande.

1961 verhalf Barbara Lotzmann in der Spielstätte Marmorpalast dem hiesigen Theaterpublikum zu ersten Musical-Erlebnissen: "Eva, bist du noch zu retten", erstaufgeführt anlässlich  der "Tage der finnischen Kultur 1961 in der DDR" und weit früher angesichts der frisch besiegelten Städtepartnerschaft Tampere/Karl-Marx-Stadt als Kulturereignis hochoffiziell anberaumt. Keiner konnte wissen, dass kurz davor der 13. August den Eisernen Vorhang des Kalten Krieges betonierte und ob angesichts dieser neuen Lage die Gäste aus dem blockfreien Finnland überhaupt anzureisen geneigt waren. Doch sie kamen, die Lotzmann stand als Temperamentbündel mit voller Jugendstrahlkraft auf der Premierenbühne: Ruma Elsa auf deutsch, Fritz Oettel trieb das zweite Städtische Orchester vehement.

Ob sie sich wohl daran erinnert? "Ich war
kein Parteimensch," sagt sie, "aber immer ganz zuverlässig. Ich bin in diesem Staat erzogen worden. Ich war arm wie eine Kirchenmaus und dieser Staat hat mir meine Ausbildung ermöglicht. Mir ist es sehr ja gut gegangen. Mein Sohn ging in den  Hort, mein Mann konnte studieren. Jeder arbeitslose Schauspieler im Westen bildet wieder neue arbeitslose Schauspieler aus. Und lebt davon. Verantwortungslos." "Die Rastlosigkeit hat sie immer noch", hören wir gern von ihrer jetzt wohl 93jährigen Mutter, die mit einer gesunden Portion Stolz zwischen Basel und Chemnitz denkt und reist und hofft. Hofft? Ob man nicht Barbara zum Festival Begegnungen einladen sollte? Wenigstens den Versuch für ein Gastspiel, für einen Ehrenabend unternimmt. Dem Jahrgangsthema "Trends" hätte sie gewiss manche Sentenz hinzuzufügen. Die Einladung gilt, für wann auch immer.

Quelle: Stadtstreicher Chemnitz, Addi Jacobi

Beate Ritter

Beate Ritter

"Kunst ist das eigentlich Bleibende einer Zivilisation" 

Schlusssatz beim Festakt für Karl Schmidt-Rottluff im Kleinen Saal der Stadthalle im Oktober 2005, einhundert Jahre nach seinem Abitur im Gymnasium Hohe Straße, das nun seinen Namen trägt. Als Kustodin der Kunstsammlungen Chemnitz, selbst Abiturientin des Jahres 1972, obliegt Beate Ritter auch die Obhut für die mehr als 350 Arbeiten Schmidt-Rottluffs, die heute zum Besitz der Chemnitzer Kunstsammlungen zählen: Karl Schmidt, der den Namen seines Geburtsortes Rottluff, einem Chemnitzer Ortsteil, eindrucksvoll in die internationalen Kunstlexika gebracht hat. Sie hütet mit aller Hingabe die weltweit zweitgrößte Schmidt-Rottluff-Sammlung eines international gefragten Lebenswerkes.
"Unveräußerlich" - weist Beate Ritter mit aller Entschiedenheit alle Befürchtungen zurück, solche Sammlungsschätze könnten irgendwann auf dem allgemeinen Marktparkett landen, wenn zur Entschuldung der Haushalte ganze Wohnsiedlungen verkauft werden. "Da gilt heute in Deutschland ein ehernes Gesetz."
Was Hitlers Nationalsozialisten ein Dorn im Auge wurde und als " Entartete Kunst" auf tausend Jahre verteufelt werden sollte, zählt längst zum Stolz aller deutschen Sammlungen wie alle expressionistischen "Brücke"-Schätze. Erbepflege.
Den Weg zu den Chemnitzer Schätzen und der Kunstwelt schlechthin, auch die ersten Besuche in den heute ihr nah vertrauten Sälen und Depots am Theaterplatz, dankt sie jenem Lehrer Richter, der in Oberschulzeiten als "Kitscher" zum Zentralgestirn hiesiger Museenaspiranten wurde: Martin Richter, der Pädagoge. Beate Ritters weitläufiger Vorgänger im Amt, Karl Brix, das sei nicht vergessen, hatte vor Jahrzehnten mit Chemnitzer Beflissenen für die Ehrenbürgerschaft Schmidt-Rottluffs gesorgt und selbst in Frontstadtjahren durch Besuche und Korrespondenz den dringenden Respekt gepflegt.
"Die ersten zwanzig Jahre im Berufsleben waren für die Forschungen eine verlorene Zeit", überblickt Beate Ritter die Chancen unter dem Banner der Arbeiter- und Bauernmacht. Die Abiturientin aus Erfenschlag studierte Museologie in Leipzig, erprobte Nischen in Sichtnähe zu den Karl-Marx-Städter Kunstsammlungen in der "Galerie am Brühl", ging für ein paar Jahre in das hiesige "Büro architekturbezogene Kunst" und hatte endlich die Chance, in den Nachwendemonaten im "ersten Haus am Platze" wirksam zu werden. Zum großen Umbau zählte zuerst die turbulente Direktorin Dr. Susanna Anna. "Bei ihr haben wir fundamental alles gelernt: Wie man Geld beschafft, Kataloge macht, Kontakte pflegt, Planungen baut, Freundeskreise als Förderer, Mäzene, Sponsoren. 1996 hatten wir es intus, das Haus war dank erster Umbauarbeiten seit 1990 gesichert! Das war auch die Zeit der ersten großen Editionen, von denen ihr der 1993 vollendete "Bestandskatalog I der Sammlung Malerei und Plastik mit den Arbeiten Karl Schmidt-Rottluffs" fundamental erscheint und teuer ist. "Das gab es erstmalig hier, gefördert, mithin finanziert durch den Bundesminister des Inneren, also Rudolf Seiters." So wurden Defizite aufgearbeitet.
Heute ist eine stattliche Reihe begehrter Chemnitzer Ausstellungskataloge auch mit ihrem Namen verbunden: "Edvard Munch in Chemnitz", "Richard Scheibe" als ein Bestseller, übertroffen noch von "Picasso et les femmes". "Da gleichen wir einem Klub der Verrückten". Wir - das sind heute wohl rund um Ingrid Mössinger auch Kerstin Drechsel, Brigitta Milde, Katharina Metz, Spezialistinnen, Kolleginnen, die es allesamt noch zu Doctorinnen honoris causa bringen dürften, sofern sie sich nicht endlich entschlössen, sich ordentliche Dissertation attestieren zu lassen. (Das hat natürlich nicht Frau Ritter geäußert; das meinen aber Freunde der Kunstsammlungen gemeinhin mit Nachdruck.)
Kurierfahrten zur Begleitung hochwertigen Sammlungsgutes zu den willkommenen Leihnehmern zählen zu den Dienst-Pflichten, die stets zu neuen Kontakten und Impulsen, wohl auch zu hilfreichen Einsichten führen. Und der nächste Gipfel Chemnitzer Provenienz ist im Köcher: Ernst Ludwig Kirchner, ein Drei-Monate-Extra ab Mai 2007 für den Abiturienten des Chemnitzer Realgymnasiums. Die Ausstellung werde, so Beate Ritter vielsagend, den historischen Bezug zu Chemnitz hinterfragen und aufarbeiten und weitere auch aus Chemnitzer Privatbesitz stammende Werke zusammentragen (Kirchners "Bergbauern" haben im Berliner Neubau des Bundeskanzleramtes an der Stirnseite des Kabinettsaales ihren hochachtbaren Platz).
Der eingangs zitierte Ritter-Satz hatte in Vollständigkeit seines Wortlauts eine gar noch größere Dimension. Angesichts des starken Jahrhunderts- und Ortsbezuges bei der Entscheidung für den heutigen Namen des alten Kaßberg-Gymnasiums hieß es: "Die Entscheidung, einen Künstler als Namenspatron zu wählen, war die einzig richtige, denn Kunst ist das eigentlich Bleibende einer Zivilisation."

 

Quelle: Stadtstreicher Chemnitz, Addi Jacobi

Barbara von Renthe-Fink 1

Barbara von Renthe-Fink

Als Senatsdirektorin für Gesundheit seit 1960 im Schöneberger Rathaus

Mit diesem Beitrag für die Ärztin und Sozialarbeiterin Prof. Dr. Barbara von Renthe-Fink wächst eine Würdigung weiter, die vor gut 15 Jahren Peter von Zahn, dem Publizisten und Fernsehpionier, als Kind des Chemnitzer Kaßbergs in seinem Studio offensichtlich gern angestoßen und in jüngere Hände gelegt hatte: Ob er wohl auf seinen Weltreisen beachtlichen Chemnitzern begegnet sei, die gern vom Autor dieser Zeilen mit unseren Mitteln biografisch erkundet werden sollten, war gefragt worden. Peter von Zahn nannte Karl Günther Renz damals - und sofort auch Barbara von Renthe-Fink. Ich hörte den Namen zum ersten Male.
Die 1983 im Oktober 82-jährig verstorbene arbeitete seit 1946 in der Zentralverwaltung für das Gesundheitswesen und ab 1960 als Senatsdirektorin für Gesundheit im Schöneberger Rathaus.

In Chemnitz hatte Frau Dr. von Renthe-Fink ihre Frauenärztliche Praxis an der Lindenstraße 2 - das darf der heutige Leser im Fußwegbereich gegenüber der "Freien Presse" an der Brückenstraße vermuten. Gleich um die Ecke, Friedrich-August-Straße 4 neben "Steiners Paradiesbetten" (also in Höhe der H & M-Fenster in der Galeria Roter Turm) betrieb ihr Lebensgefährte, Dr. Otto Jäger, seine Kinderarztpraxis in einem guten Geschäftshaus. Das Arztpaar war im größeren Chemnitz untergetaucht, nachdem sie in Glauchau als kulturell und sozial selbstlose und engagierte Mediziner nach der Nazi-Machtergreifung sich nicht mehr sicher fühlen konnten. Sie wurden Chemnitzer. Auch nach den Bombenangriffen bei Kriegsende auf Chemnitz blieben die hochangesehenen Ärzte inmitten der Trümmer und im Adelsberger Umkreis aktiv - man wohnte Am Schösserholz.

Bis 1949 war Frau Dr. von Renthe-Fink "Gesundheitsstadträtin in Chemnitz", saß mit Dr. Gertrud Korb zu ostzonalen Kongressen in der Viersektorenstadt, war bald in der Zentralverwaltung Ost leitend tätig und fand zu gegebener Zeit den Weg in die Freiheit des Ernst-Reuter-Senats. Die Chemnitzerin (seit 1928 niedergelassene Ärztin in Sachsen) wirkte bis 1974 als BRD-Vizepräsidentin des Deutschen Roten Kreuzes, engagierte sich für den Ausbau der sozialen Arbeit "und entwickelte Konzepte für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen", wie es in Kurzbiografie des "Barbara-von-Renthe-Fink-Hauses Berlin" der "von Bodelschwinghschen Anstalten Bethel" heißt.
Barbara von Renthe-Fink 2 Auf eine bemerkenswerte Autobiografie der Chemnitzerin weist uns endlich deren Tochter Nora hin, eine gebürtige Chemnitzerin, die längst und gleichfalls als Ärztin südlich Kiels lebt. Dort finden sich Worte wie: "Als mich 1933 in Sachsen die drohende Verhaftung zur fluchtartigen Reise in die Schweiz veranlasste..." oder Episoden wie "Dass ich in Chemnitz einen Platz in einem Flugzeug für nur zwei Personen fand, war ein Wunder." Sie charakterisiert auch: "Chemnitz hatte und hat wohl heute noch eine ausgesprochene Arbeiterbevölkerung mit großem Frauenanteil. Vorwiegend in der Textilbranche tätig. Ich hatte verständnisvolle Patienten, fleißige Arbeiterinnen, selten neurotische Fälle." Man findet dann ihre Lebensentscheidung: "Wenn ich 1949 aus einer mir sehr gemäßen und sehr verantwortungsvollen Position in Ostberlin ausschied, so verdanke ich diesen Entschluss Freunden in Westberlin, die mich herüberholten und mir Gelegenheit gaben, Ernst Reuter zu treffen."

Peter von Zahn hat seine Bekanntschaft in "Windrose der Zeit" skizziert: "Sie war praktische Ärztin mit kühnem Verstand, großer Organisationsgabe und einem empfindlich reagierenden sozialen Gewissen. Er war Kinderarzt, Träumer und Phantast, der die engen Räume am Marktplatz einer sächsischen Provinzstadt mit erlesenen Stichen und Teppichen füllte." Das Arztpaar habe sich nicht um "das Ausschreiben und Eintreiben von Rechnungen" gekümmert. "In der Anonymität des größeren Chemnitz suchten sie Schutz und mussten nicht gegenwärtigen, denunziert zu werden, wenn sie beim Betreten des Bäckerladens nicht die Hand zum deutschen Gruß erhoben."

Heute trägt ein Altenpflegeheim an der Berliner Bundesallee 33 ehrend ihren Namen. Und dort fanden wir auch endlich das Altersporträt, das heute unsere Zeilen begleitet. Juliane Olbricht - auch eine junge Chemnitzerin, die jetzt in Berlin lebt - hat es reproduziert. Danke.

 

Quelle: Stadtstreicher Chemnitz, Addi Jacobi

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