Irmtraud Morgner
Irmtraud Morgners frühe Vollendung
Die als Irmtraud Morgner bekannt gewordene Chemnitzerin vom Jahrgang 1933 hatte vehement und früh die Emanzipation der Frau zum Programm für ihr literarisches Schaffen und ihr alltägliches Dasein erkoren. In "Leben und Abenteuer der Trobadora Beatriz nach Zeugnissen ihrer Spielfrau Laura" reflektierte eine wiedererweckte mittelalterliche Minnesängerin die Situation der Frau im real existierenden Sozialismus. Der Roman ging seit 1974 von Kopf zu Kopf, 1983 folgte "Amanda. Ein Hexenroman". Doch die geplante Trilogie blieb Torso. Posthum erschien 1991 der Erzählungsband "Die Schöne und das Tier". Ein politbürofreies Leben hat sie ebenso mitbewirkt wie (wohl unbeabsichtigt) den Exodus des ganzen Drum und Dran. Dann blieben ihr nur Wochen, die physische Mauerpenetranz beendet zu wissen. Laut "Emma"-Chefin Alice Schwarzer, die ihr nahe stand, "...ist sie tatsächlich nochmal Opfer der DDR-Medizin geworden und in einer Art und Weise barbarisch operiert und behandelt worden", es sei - so die Schwarzer - "einfach eine Aneinanderreihung von Grauen." Für Emma-Alice ist die Morgner eine der interessantesten und kritischen DDR-Autoren überhaupt. Vor "Amanda" sei "kaum etwas Mutigeres geschrieben worden in der DDR." Solche Äußerungen waren in einem Feature zu hören, das Charlotte Worgitzki, eine ehemalige Freibergerin, für die gebürtige Chemnitzerin gestaltet hatte. Nicht wenige Morgner-Leser fanden seither den Weg zu Irmtrauds Geburtshaus in der Huttenstraße, dann zu dem trauernden Elternpaar auf der Frankenberger Straße. Dort, in der 104, blieb noch alles so wie zu der Zeit, als Irmtraud aus dem Hause ging. Viele Bilder der Tochter hängen nun altarhaft an den Wänden. Die Bücher, zehn Titel hat sie vollendet, stehen davor auf dem Regal, zerlesen, weil von Hand zu Hand gegangen.
Bei Kriegsende war Irmtraud eben elf Jahre alt, der Vater allezeit als Lokomotivführer auf Achse. Da lässt sich viel Urgrund in dem 1972 erschienenen Roman "Die wundersamen Reisen Gustavs des Weltfahrers" erkennen. Schon 1969 schaffte sie es, "Hochzeit in Konstantinopel" gleichzeitig in Ostberlin und München herauszubringen. Flink nach dem Abitur auf dem Kaßberg hatte Irmtraud Morgner ihre Geburtsstadt verlassen, um bei Hans Mayer und Ernst Bloch in Leipzig Germanistik zu studieren. Anschließend arbeitete sie als Redaktionsassistent in der Zeitschrift "Neue Deutsche Literatur - NDL" bei Bredel und Weiskopf, Roscher und Keisch. Paul Wiens trat dort in ihr Leben.
In Charlotte Worgitzkis "Die Trobadora aus Chemnitz" kommt die Dichterin anrührend zu Wort. Am 6. Mai 1995, ihrem 5. Todestag, soll das Funkfeature in der Veranstaltungsreihe "Chemnitzer Köpfe" am würdigen Platz öffentlich vorgestellt werden, umgeben von ihren Büchern und von Leuten, die sie lasen und lesen. Der letzte Tag ihres Lebens war der erste freie Wahltag für die Kommunalparlamente, Tag der ersten freien Wahl hier seit Menschengedenken. Die Morgner hatte ihn mit herangeschrieben. Schon Mitte der sechziger Jahre blieb ihrem Roman "Rumba für einen Herbst" die Druckgenehmigung versagt, weil es darin um die Desillusionierung junger Leute ging, die mit der unanfechtbaren Weisheit der Vorhutpartei nicht klarkamen.
Quelle: Stadtstreicher Chemnitz, Addi Jacobi